Die vier Pfade des Yoga: Karma, Bhakti, Jnana und Hatha
Die vier Pfade des Yoga: Karma, Bhakti, Jnana und Hatha

Die vier Pfade des Yoga: Karma, Bhakti, Jnana und Hatha

Die meisten denken bei Yoga an körperliche Übungen. Doch dies ist nur eine Seite der alten indischen Tradition, dessen Ziel Moksha ist: die Erlösung vom Kreis der Wiedergeburten.

Ursprünge des Yoga

Yoga bedeutet soviel wie Vereinigung – die Vereinigung von Körper und Seele, von Seele und Gott. Yoga wird bereits in den Upanishaden erwähnt, die circa 700 Jahre v. Chr. geschrieben wurden. Auch in der Bhagavad Gita (ca. 400 v. Chr.) wird Yoga als Methode zur Befreiung vom Kreis der Wiedergeburten erwähnt.

Das Yogasutra von Patanjali ist der zentrale Text des Yoga. Er wurde vor rund 2.000 Jahren verfasst. Patanjali gibt darin das Ziel des Yoga wie folgt aus: „Yoga ist jener innere Zustand, in dem die seelisch-geistigen Vorgänge zur Ruhe kommen.“

Yoga ist in all seinen Formen also eine spirituelle Praxis, die Jahrtausende alt ist. Um das von Patanjali ausgegebene Ziel zu erreichen, haben sich verschiedene Pfade entwickelt. Die drei klassischen sind Bhakti Yoga, Karma Yoga und Jnana Yoga. Später ist das körperbetonte und in der westlichen Welt weit verbreitete Hatha Yoga dazugekommen.

Karma Yoga – Der Weg der Taten

Unter Karma stellen sich viele eine Art kosmisches Gesetz vor, dass gute Taten belohnt und böse bestraft. Tatsächlich bedeutet Karma nichts anderes als Wirken. Jedes Wirken hat eine Folge – vielleicht in diesem, vielleicht im nächsten Leben.

Karma Yoga ist dann das Yoga des Handelns, der Taten. In der Bhagavad Gita spricht Krishna:

„Du [musst] jede Tat vollziehen als eine Darbringung an Gott und frei sein von aller Bindung an die Ergebnisse.“

Karma Yoga ist also selbstloses Handeln. Der Karma Yogi verzichtet auf alle weltlichen Vorteile, die sein Handeln ihm einbringen könnten. Alles, was er tut, ist ein Opfer, dass er Gott darbringt. Deshalb ist ein Karma Yogi oft nicht als ein solcher zu erkennen. Äußerlich mag er die Straße fegen oder ein Bauer sein – in seinem Inneren aber praktiziert er das selbstlose Karma Yoga.

Karma – das Aufeinanderfolgen von Ursache und Wirkung – ist die Kraft, die das Rad der Wiedergeburten am Laufen hält. Um es zu stoppen und Moksha zu erlangen, reicht es nicht aus, inaktiv zu werden und nichts zu tun – mal davon abgesehen, dass es unmöglich ist, nichts zu tun. Stattdessen soll der Yogi handeln, aber ohne Anhaftung an seine Taten. Damit befreit er sich vom Kreislauf der Wiedergeburten, von Samsara.

So gesehen ist Karma Yoga also alles, was wir tun.

Bhakti Yoga – Der Weg der Hingabe

Bhakti Yoga ist der Weg der Liebe, der Hingabe an einen persönlichen Gott. Der Bhakti-Pfad wurde schon in der Bhagavad Gita erwähnt, blühte aber im mittelalterliche Indien auf.

Auch der Einfluss des Sufismus ist zu erwähnen. Sufismus ist die mystische Strömung des Islam und teilt viele Konzepte mit dem Bhakti Yoga. Kabir, ein indischer Mystiker aus dem 15. Jahrhundert, gilt als einer der wichtigsten Bhakti-Heiligen – und gleichzeitig als ein Sufi-Heiliger. Er verband Hinduismus und Islam zu einer Strömung, denn er erkannte: Sufismus und Bhakti Yoga sind zwei Ströme, die ins gleiche Meer führen. Das Meer ist Gott, der Strom die Liebe.

Bhakti Yoga kann viele Formen annehmen. Kirtans sind das gemeinsame Singen von heiligen Mantras, wobei ein Sänger bzw. der Guru vorsingt und die Gläubigen nachsingen. Das stille oder auch laute Rezitieren von Mantras mithilfe einer Gebetskette wird Japa genannt.

Allgegenwärtig ist in Indien auch die Puja: Diese religiösen Zeremonien werden jeden Morgen und jeden Abend entweder privat im Haushalt oder öffentlich in Tempeln durchgeführt. Dabei werden Bildnissen oder Statuen von Gottheiten verehrt – z. B. indem man ihnen Blumen oder Teelichter darbringt. Die Puja ist einer der wichtigsten Bestandteile des Lebens der meisten Hindus.

Ram Dass, ein kürzlich verstorbener US-amerikanischer spiritueller Lehrer, fasste Bhakti Yoga mit folgenden Worten zusammen:

„Du liebst so lange, bis du und der Geliebte Ein werden.“ Mit anderen Worten: Bhakti Yoga ist die Vereinigung mit Gott auf dem Weg der persönlichen Liebe zu Gott.

Jnana Yoga – Der Weg der Wissens

Eine andere Herangehensweise ist die des Jnana Yoga. Ziel des Jnana Yoga ist, wie bei den anderen Pfaden auch, Moksha. Dies soll durch das Realisieren der Einheit von Atman (Seele) und Brahman erreicht werden. Als Brahman bezeichnen die Hindus die unendliche, transzendente Realität. Brahman ist der ewige Urgrund allen Seins. Einer der zentralen Lehrsätze des Hinduismus lautet: Tat Tvam Asi – Du bist Das. Mit anderen Worten: Du bist Brahman, Atman ist Brahman.

Wer dies weiß – und zwar wirklich weiß und erlebt – der erlangt Moksha.

Jnana Yoga bietet seinen Schülern mehrere spirituelle Werkzeuge an, mit denen diese Nuss des Wissens geknackt werden soll.

Dabei ist das Lernen vom einen Guru unerlässlich. Darauf folgt Manana, also das innere Aufnehmen des erworbenen Wissens. Die dritte Stufe ist Meditation. Damit soll der Schüler theoretisches Wissen in praktische Erfahrung umwandeln und des Ausspruch Tat Tvam Asi selber erfahren.

Es gibt Hilfsmittel und Anweisungen, die den Weg des Jnana Yoga erleichtern sollen. Vairagya bezeichnet die Loslösung von allen weltlichen, materiellen Dingen. Dies dient der Unterscheidung von Brahman (unveränderliche Realität) und Maya (Illusion).

Shad-Sampad sind die sechs Tugenden, die ein Jnana-Praktizierender einhalten sollte. Dazu gehören unter anderem Glaube und innere Sammlung.

Jnana Yoga gilt als der schwierigste Weg. In der Bhagavad Gita, einer der zentralen Schriften des Hinduismus und des Yoga, wird Jnana Yoga als anspruchsvoller als Bhakti Yoga und Karma Yoga beschrieben. Letztlich stellt Jnana Yoga aber einen genauso validen Weg dar wie die beiden anderen auch.

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Hatha Yoga – Der Weg des Körpers

Hatha Yoga gehört eigentlich nicht zu den drei klassischen Pfaden des Yoga. Es entstand einige Jahrhunderte nach Bhakti, Karma und Jnana Yoga, und ist deshalb nicht in den altem Schriften des Hinduismus zu finden.

Hatha bedeutet so viel wie „Anstrengung“ oder „Kraft“. Es ist körperliche Anstrengung gemeint, aber nicht nur: der Geist soll gestärkt werden, der Körper in einen Tempel verwandelt werden, in dem die Seele und der Geist gerne wohnen. Während viele indische Philosophien den Körper als Hindernis auf dem religiösen Pfad sehen, nimmt Hatha Yoga die entgegengesetzte Position ein. Hatha Yoga ist der Weg zu Gott über den Körper.

In den letzten Jahrzehnten haben sich viele Arten des Hatha Yoga entwickelt. Zu den bekanntesten zählen Iyengar Yoga, Kundalini Yoga und Vinyasa. Doch mittlerweile findet man in europäischen und amerikanischen Großstädten auch solche neuartigen Erfindungen wie Yoga für die Verdauung, Schwangeren-Yoga und sogar Lach-Yoga. Diese Arten des Yoga haben nicht viel gemeinsam mit der alten indischen Philosophie. Dass sie so beliebt sind, liegt ganz einfach an der Wirksamkeit, die sie trotzdem haben. Genau dies ist nämlich das Geheimnis des Erfolges, den Yoga im Westen feiert: Yoga ist gut für Geist und Seele, macht Spaß – ob man nun die Philosophie dahinter kennt oder nicht.

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Raja Yoga – der königliche Weg

Das „königliche Yoga“ – Raja Yoga – vereint die vier bisher genannten Aspekte. Raja Yoga gilt als die höchste Form des Yoga. Sein Ziel ist die Kontrolle, Herrschaft über den Geist – deshalb eben ist es „königlich“.

Diese Herrschaft wird durch acht Stufen erreicht. Dazu gehören ethische Verhaltensregeln und Selbstdisziplin, außerdem Atemkontrolle und Meditation. Hatha Yoga wird dabei als ein Weg angesehen, um Raja Yoga zu erreichen.

Yoga im Wandel der Zeit

Man muss in der heutigen Zeit wohl zwischen zwei Arten des Yoga unterscheiden: der westlichen und der traditionell indischen. Während erstere so beliebt wie nie zuvor ist, hat sie mit dem eigentlichen Yoga aber nur noch wenig gemeinsam. Dies bedeutet nicht, dass Hatha Yoga, wie es in westlichen Großstädten unterrichtet wird, falsch ist. Es gibt auch in Europa und Amerika gute Lehrer, die auf körperliche und „seelische“ Fortschritte gleichermaßen Wert legen. Und wer wirklich nur Yoga übt, um einen Sixpack oder definierten Po zu kriegen, stößt ja, vielleicht auch nur zufällig, trotzdem auf die weiteren Dimensionen des Yoga.

In Indien, einem Land, das sich in rasantem Wandel befindet, ist das Yoga aber gut aufgehoben. Dort hat es die Jahrhunderte, zahlreiche Invasionen und Kriege überlebt – und wird auch den technologischen, kapitalistischen Wandel überstehen, den das Land gerade vollzieht.

Denn solange Menschen nach Gott streben, wird es Yoga geben.

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